Als Chef des Weltärztebundes hat sich Frank Ulrich Montgomery einen ruppigen Tonfall angeeignet. Seine Aussagen zur Pandemie machen Schlagzeilen. Ist aus dem Funktionär ein Populist geworden?
Jonas Hermann, Berlin
Es ist ein simpler Trick, aber er funktioniert fast immer: Wenn ein Politiker oder Funktionär grösstmögliche Aufmerksamkeit für eine Aussage erhalten will, lässt er sie mitten in einen Feiertag platzen. Daher dürfte es kaum Zufall gewesen sein, dass der Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, am zweiten Weihnachtsfeiertag von sich reden machte. Als Rampe diente ihm ein kürzlich in Niedersachsen gefälltes Gerichtsurteil. Es untersagt dem Bundesland, nur noch Geimpfte und Genesene im Einzelhandel zuzulassen.
Montgomery hält von dem Urteil nichts und holte weit aus: «Ich stosse mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen 2G im Einzelhandel kippen, weil sie es nicht für verhältnismässig halten», sagte er der «Welt». Das Gericht masse sich an, die mühsam gefundenen Entscheidungen von politischen und wissenschaftlichen Gremien zu kippen.
Dass «Richterlein» letztlich den gesamten Staat repräsentieren, schert Montgomery offenbar ebenso wenig wie die Tatsache, dass strittige politische Entscheidungen im Regelfall vor einem Gericht landen und dort Bestand haben müssen. Der lautstarke Widerspruch auf seine Aussage war daher erwartbar und gehört wohl zum Kalkül. Jeder Social-Media-Berater weiss, dass oft erst die wütende Gegenreaktion breite öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt.
Nicht selten übertreiben die Kritiker dabei genauso wie das Objekt der Kritik, was ihre Glaubwürdigkeit untergräbt. Den richtigen Ton fand jedoch die ehemalige deutsche Familienministerin Kristina Schröder: «Das ist die Sprache, in der auch die AfD Werte und Institutionen unserer Demokratie verächtlich macht», schrieb sie auf Twitter zu Montgomerys Richterschelte.
«Tyrannei der Ungeimpften»
Montgomery ist 69 Jahre alt und nicht der Typ, der sich im Affekt zu deftigen Sprüchen hinreissen lässt – er überdreht die Schraube ganz bewusst. In einer Talkshow auf die geringe Impfquote in Deutschland angesprochen, witterte er im November eine «Tyrannei der Ungeimpften». Die Aussage habe er sich vorher genau überlegt, erklärte er später. Immerhin gehe es darum, die Bürger «aufzuwecken».
Dass viele Menschen beim Thema Pandemie längst komplett abgeschaltet haben, scheint Montgomery entgangen zu sein. Ein Grund für die Pandemiemüdigkeit dürfte auch darin liegen, dass die Appelle aus Medizin und Politik durch ständige Wiederholung und Tonverschärfung an Glaubwürdigkeit verlieren.
Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes – so lautet Montgomerys offizieller Titel. Die Organisation besteht aus 112 nationalen Mitgliedsverbänden. Montgomery hat laut dem «Ärzteblatt» die Aufgabe, den Weltärztebund «politisch und organisatorisch zu führen». Seine Erfahrung als Funktionär reicht bis in die frühen neunziger Jahre zurück. Fast zwanzig Jahre war er Chef der deutschen Ärztegewerkschaft Marburger Bund, danach wechselte er als Vizepräsident zur Bundesärztekammer.
Er bereut nichts
Als Facharzt für Radiologie zählt Montgomery nicht zu den Funktionären, die schon seit Dekaden nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten. Bis ins Jahr 2018 war er Oberarzt der radiologischen Klinik des Universitätsspitals Hamburg. Schon zu Beginn der Pandemie suchte er die Öffentlichkeit. Im Gegensatz zum neuen deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach fiel er dabei nicht durch Hysterie oder Alarmismus auf. Genau wie das Virus hat sich aber auch das Debattenklima gewandelt, ist rauer und gefährlicher geworden.
Montgomery steht exemplarisch für diese Entwicklung. Von seinen steilen Aussagen zur Pandemie bereue er keine einzige, gab er kürzlich zu Protokoll. Darin kann man Standhaftigkeit sehen oder einen weiteren Beleg dafür, dass sich Montgomery zum Populisten gewandelt hat.
In der Sache liegt er dabei oft richtig. Die Ungeimpften verschlimmern die Pandemie tatsächlich und stehen einer zunehmend genervten Mehrheit gegenüber. Sie der Tyrannei zu bezichtigen, dürfte aber keinen einzigen von ihnen zur Impfung animieren. Ebenso kontraproduktiv ist es wohl, öffentlich über eine Corona-Variante zu spekulieren, die so «ansteckend wäre wie Delta und so tödlich wie Ebola».
Von der «Welt» damit konfrontiert, sagte Montgomery, sein Vergleich erhebe überhaupt nicht den Anspruch, «mit Wissenschaft etwas zu tun zu haben». Das aber würden die meisten Menschen wohl schon von einem Mediziner erwarten, der die weltweite Ärzteschaft repräsentieren will.
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