Die Veröffentlichung angeblich geheimer Unterlagen zum Ukraine-Krieg beschäftigt die USA. Sind die Dokumente echt? Wer steckt hinter dem Leak? Die wichtigsten Antworten
Veröffentlicht am
Wochenlang kursierten in sozialen Netzwerken offensichtlichgeheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Unterlagen sind wahrscheinlich echt, manche wurden möglicherweise nachträglich manipuliert. Am 13. April wurde ein möglicher Verdächtiger festgenommen. Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Pentagon-Leak habenwir hier zusammengefasst:
Was steht in den Veröffentlichungen?
Die veröffentlichten geheimen Dokumente enthaltenUS-Medienberichten zufolge unter anderem Informationen zu Waffenlieferungen andie Ukraine sowie Angaben zum Munitionsverbrauch. Sie zeigen auch Landkarten, auf denender Frontverlauf eingezeichnet ist – sowie Standorte russischer und ukrainischerTruppenverbände und deren Mannschaftsstärken. Auch angebliche Zahlen zu Soldaten,die bei den Kämpfen ums Leben gekommen sind – aufseiten der Ukraine, aber auch von Russland –, sind darin zu finden. Einige der als "geheim" gekennzeichneten Schriftstückestammten vom Februar und März, wie das Nachrichtenportal Politico sowie das Investigativnetzwerk Bellingcat berichteten.
Interessant sind die Unterlagen auch, weil sie zeigen könnten, wie das ukrainische Militär auf eine russische Frühlingsoffensivevorbereitet und bewaffnet werden sollte. Die Dokumente geben laut New York Times auch einen Einblick in die russischen Planungen und zeigen, dass die USA überumfassende Kenntnisse zur russischen Strategie verfügten.
Analysen und Informationen zu anderen Ländern sind ebenfallsin den Dokumenten enthalten. Wie Bellingcat berichtet, enthalten dieSchriftstücke unter anderem eine Analyse der britischen Sichtweise auf dieSituation im Südchinesischen Meer und beleuchten die Aktivitäten eines Huthi-Vertretersim jemenitischen Bürgerkrieg.
Recherchen der Washington Post zufolge lässt sich aus denDokumenten teilweise erkennen, mit welchen Methoden die US-Geheimdienste angeblichihre Informationen gesammelt hätten – und wer die Quellen sein könnten.
Und laut der New York Times bieten die Unterlagen auch einen Einblick ins Innenleben der ukrainischen Luftverteidigung. So soll aus den Dokumenten hervorgehen, dass die ukrainische Armee dringend weitere Munition für die Luftabwehr benötigt. Pentagon-Beamte sind demnach besorgt, dass die Munitionsvorräte bald zur Neige gehen könnten – und Russland die Möglichkeit hätte, die Ukraine wirkungsvoller aus der Luft anzugreifen. Ein solches Szenario, so die Sorge, könnte dem Kriegsgeschehen eine neue Wendung geben, zugunsten Russlands.
Einige der enthaltenen Informationen könnten aber auch zu diplomatischen Verwerfungen führen. Wie die Washington Postberichtet, soll ausgerechnet Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sissi die Anweisungen gegeben haben, 40.000 Raketen zu produzieren – und diese heimlich nach Russland zu bringen. Ägypten ist eigentlich einer der engsten Verbündeten der USA im Nahen Osten – und bekommt von den Vereinigten Staaten regelmäßig Finanz- und Militärhilfen.
Was ist der Ursprung der Unterlagen?
Möglicherweise handelt es sich umBriefing-Unterlagen für Pentagon-Mitarbeiter. Nach Bellingcat-Recherchen scheinen die Dokumente auf AnfangMärz datiert zu sein. Zu diesem Zeitpunkt seien sie auch zum ersten Mal über den Chatdienst Discord veröffentlicht worden. Bellingcat schreibt aber auch, dasseinige Dokumente auf den Januar datiert sind – und möglicherweise bereitsfrüher veröffentlicht wurden. Wann genau, das ist nachwie vor unklar.
Wer steckt hinter dem Leak?
An dieser Stelle ist ein externer Inhalt eingebunden
Zum Anschauen benötigen wir Ihre Zustimmung
Die amerikanischen Ermittler haben sofort nach dem Bekanntwerden der Leaks damit angefangen, mögliche Verdächtige zu identifizieren. Am Donnerstag wurde ein 21 Jahre alter Mitarbeiter der Nationalgarde im Bundesstaat Massachusetts festgenommen. Jack T. soll die Unterlagen von der Arbeit mit nach Hause gebracht und von dort über einen Discord-Server mit einer Gruppe von Onlinefreunden geteilt haben.
Sind die Dokumente echt – oder möglicherweise manipuliert?
Nach der Festnahme eines Verdächtigen ist relativ sicher, dass zumindest die Ursprungsoriginale echt sind. Das heißt aber nicht, dass sie nicht nachträglich verändert worden sein könnten. Der Bellingcat-Experte Aric Toler hatherausgefunden, dass zumindest einige Unterlagen, die zunächst auf Discord auftauchten – und dann auch von russischen Nutzern weiterverbreitetwurden –, manipuliert wurden.
Seine Recherchen belegen beispielsweise, dass Postings aufTelegram und im Onlineforum 4chan das gleiche Foto zeigen. Darauf sind Statistiken zu sehen,einschließlich einer kumulierten Zahl von russischen und ukrainischen Soldaten,die angeblich bei Kriegshandlungen getötet wurden. Die Zahl der getöteten russischenSoldaten war jedoch im zweiten Posting (Telegram) geringer. Unteranderem anhand einzelner Zeichen und Buchstaben konnte Toler nachweisen, dass genau dieses Bild offenbarmanipuliert wurde.
Die Unterlagen des Oberkommandosder Streitkräfte sähen authentisch aus, berichtete die New York Times unterBerufung auf Regierungsmitarbeiter. Und CNN berichtete, Regierungsmitarbeiter hätten grundsätzlichdie Echtheit der Unterlagen bestätigt.
Was sagen die USA zu dem Leak?
Die US-Behörden nehmen die Sache sehrernst. Sowohl das Pentagon als auch das Justizministeriumuntersuchten die Vorfälle, berichteten Medien übereinstimmend. US-Präsident JoeBiden sei "besorgt" über die Menge der Dokumente, die an die Öffentlichkeitgelangt sei, bestätigte ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter Politico. Der Sprecher des nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sprach von einem "sehr hohen Risiko für die nationale Sicherheit" durch die Leaks.
Wie reagierten die Ukraine und Russland auf die Veröffentlichung?
Anders als die USA gibt die Ukraine seit Tagen an, eshandele sich um von Russland gefälschte Dokumente – und damit gebe esmöglicherweise gar kein Leak. "Es ist ein gewöhnliches Geheimdienstspiel",meinte der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak. Die russischenGeheimdienste hätten die Dokumente selbst erstellt – mit dem Ziel, unter denVerbündeten der Ukraine Zweifel und Zwietracht zu säen und von den nächstenEtappen im Krieg abzulenken.
Russland hingegen sieht durch die Berichte in den USA einmalmehr die Verwicklung Washingtons im Konflikt in der Ukraine bestätigt.Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte CNN, dass die Beteiligung der USA und derNato an dem Konflikt weiter zunehme.
Wie könnte sich das Leak auf den Krieg auswirken?
Die Dokumente könnten der Ukraine und den USA gleich inmehrfacher Hinsicht schaden. Zwar seien sie schon einige Wochen alt, dennochkönnten sie Moskau wertvolle Informationen liefern, sagte Dmitri Alperovitch,Vorstand der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, der Washington Post.Auch wenn sie keine konkreten Schlachtpläne enthielten, zeigten sie doch Artund Menge der westlichen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Ukraineangekommen seien, wie viele Soldaten sie bedienen könnten und wie sich dieUkraine gegen russische Angriffe verteidigen wolle.
Außerdem machten die Dokumente deutlich, wie weitgehendRusslands Sicherheitsapparat von US-Geheimdiensten durchdrungen sei, schriebdie New York Times. Das gebe Russland Informationen darüber, wo seineSchwachstellen lägen.
Was bedeutet das Leak für die Partner der USA?
Die Leaks suggerieren, dass dieUS-Dienste auch in den Reihen der eigenen Verbündeten spioniert haben. Das könnte für Verstimmungenzwischen den Alliierten sorgen. Auch werfen die Veröffentlichungen neue Fragendarüber auf, wie sicher Geheimdienstinformationen sind, die andere Länder andie USA weiterleiteten, hieß es mit Blick auf den weitreichenden Austausch vongeheimen Informationen zwischen den USA, Großbritannien,Australien, Neuseeland und Kanada.